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 Considering Finland 

Kenneth Bamberg, Elina Brotherus, Ilkka HalsoRiitta Ikonen & Karoline HjorthJaakko KahilaniemiTellervo Kalleinen & Oliver Kochta-KalleinenSanna Kannisto, Ville Lenkkeri, Aurora Reinhard, Anna Reivilä, Mikko Rikala, Iiu Susiraja, Nestori Syrjälä, Pilvi Takala

 

10.11.2018 – 13.01.2019

Eröffnung 09.11.2018

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In Kooperation mit dem Kunstverein Ludwigshafen und dem Finnland-Institut in Deutschland.

KENNETH BAMBERG

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Ein durchgängiges Thema in Kenneth Bambergs fotografischer und performativer Praxis sind kulturelle Artikulationen von Männlichkeit.

In seiner Serie Koteka Impressions greift er auf eine außereuropäische Tradition zurück: das Tragen eines Penisfutterals. Die sogenannte Koteka bietet einerseits Schutz und ist andererseits, wie ein Schmuckstück, Ausdruck der Persönlichkeit und Potenz des Trägers.​

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Penisfutterale werden noch immer zu besonderen Anlässen von Stammesangehörigen in Melanesien, Südamerika und Afrika getragen. Bei der

Betrachtung der aus Kürbissen und Muscheln gefertigten Kotekas im Museum der Kulturen in Helsinki, erinnerte sich Kenneth Bamberg daran, dass er als kleiner Junge selbst seinen Penis mit bunten Bändern zu schmücken pflegte. Eine Praxis, die er sofort beendete, als ihm erklärt wurde, dass dies unangemessen sei. Bamberg stellte

sich die Frage, wie Menschen heute und im Westen auf den Penisschmuck reagieren würden. Welchen Wert würden sie dem Symbol der Männlichkeit beimessen und welche Formen könnte es annehmen?

Er bat Männer in seiner Heimatregion Åland die Tradition der Kotekas durch einen eigenen Entwurf einer Penishülle zu interpretieren und zu aktualisieren. Die Beteiligten dur en ein Penisfutteral für sich selbst gestalten. Mit großem Einsatz, erstellten die Männer unter-schiedlicher Altersgruppen und Berufe Kotekas, die ihnen geeignet schienen etwas Wesentliches ihrer Persönlichkeit auszudrücken. Aus gestrickten wollenen Socken, seit Kindertagen auf-

bewahrten Comicheften oder bunten Bändern entstanden so oft kräftigfarbige, pompöse und ein wenig anzügliche Repräsentationen von Männlichkeit.

ELINA BROTHERUS

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Elina Brotherus arbeitet in ihren fotografischen Serien und Filmen mit dem Mittel der Selbstin-

szenierung. Häufig setzt sie ihre Bilder nach Leitbildern der Kunstgeschichte in Szene.

Für Les Femmes de la Maison Carré nutzt sie eine Ikone der Architektur des 20. Jahrhunderts: das einzige von Alvar Aalto in Frankreich entworfene Gebäude – die Maison Louis Carré. 

 

Aalto hatte das Haus zwischen 1957 und 1960 für den Galeristen und Sammler Louis Carré in der Nähe von Paris errichtet. Carré nutzte die Villa sowohl als Wohnhaus, als auch zur Präsentation seiner Sammlung zeitgenössischer Kunst. Die Maison Carré wurde in ihrem ursprünglichen Grundriss und ohne Änderung des Mobiliars erhalten und ist für die Öffentlichkeit zugänglich. 


In ihren Fotografien belebt Brotherus die Räume mit verschiedenen Frauenfiguren. Die Anwesenheit der Frauen in der bis ins Detail ausgearbeiteten Innenarchitektur hat etwas Geheimnisvolles, dem man auf die Spur kommen

möchte. Mal sieht der Betrachter, wie ein Voyeur, durch ein Fenster, mal schaut eine Protagonistin selbst durch ein Fenster in einen Raum.Das Missverhältnis zwischen den verlassenen Räumen und der tiefen Versunkenheit der Protagonistinnen beflügelt die Fantasie des Betrachters. Einerseits scheinen die Frauen hier und jetzt anwesend zu sein, doch sind sie andererseits ein Teil der Vergangenheit.

VILLE LENKKERI

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In seiner künstlerischen Praxis untersucht Ville Lenkkeri Bedeutungs- und Realitätskonstruktionen mit den Mitteln Fotografie und Text. Oft sind seine Fotografien als Szenerien im unscharfen Bereich zwischen Dokumentation und Inszenierung angelegt.

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Medical Records of a Small Townist eine Erinnerung an den Vater des Künstlers und zugleich eine Studie über einen Menschen, der sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen führt. Als Arzt in einer kleinen Stadt, tief in den finnischen Wäldern, war Doktor Lenkkeri eine bekannte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens und wurde für seinen makabren Humor geschätzt. An seinem Lebensende hatte er einen großen Schrank mit Patientenakten bis zum Überquellen gefüllt.


Der Aktenschrank repräsentiert für den Künstler Ville Lenkkeri das Lebenswerk seines Vaters als ein Sammelsurium verdichteter medizinischer Informationen und als ein Memorial jahrzehnte-langer akribischer Arbeit. Ville Lenkkeris Fotografen folgen der Ordnung dieser Aufzeichnun-

nungen sowie den Leidenschaften des Vaters für Poesie und körperlicher Arbeit in Form von oft langwierigen, unmöglichen oder verrückten Projekten. Um dem, was Gewesen ist möglichst nah zu kommen, entwickelt Lenkkeri eine Erzählstruktur, die den Spuren des Vaters folgt. In einem Wechsel von Detailaufnahme und Totale werden Stillleben, Portraits und Aktionsbilder der unterschiedlichen Themenfelder zu einem Storyboard zusammengefügt. Analog zu einer filmischen Dokumentation verschränkt Ville Lenkkeri Szenen aus dem Leben des Protagonisten mit den Aussagen von Zeitzeugen und eingeblendeten Beweisstücken.

AURORA REINHARD

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Durch ihre Fotografien, Videos und hyperrealis-tischen Objekte oder Fetische deutet Aurora Reinhard auf Geschlechterrollen, Sexualität

und Geschlechterdifferenz als gesellschaftliche Konstruktion. Viele ihrer Arbeiten basieren auf dem Kanon des abendländischen Bildgedächtnisses,

für die Reinhard in ihrer künstlerischen Praxis eine von der Referenz abweichende künstlerische Form findet.

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Mit der Serie Venus erforscht Aurora Reinhard welche Formen weiblicher Identität sich Frauen aneignen, um sexuell ansprechend zu sein. Vorbilder für die Selbstinszenierungen findet sie in der stereotypen Bildsprache der Medienkultur, einschließlich der Mode, der Werbung, der Märchen und der Pornoindustrie. Aurora Reinhards Interesse zu lernen wie Frauen Besitz von ihren Körpern

nehmen können, ohne stigmatisiert oder objekti-viert zu werden, ist prägend für ihr gesamtes Werk. In den Venus-Inszenierungen erprobt sie Stereotype der Verführung. Die gewählten Posen sind extrem sexualisierte und provokante Halten-

gen, in denen der weibliche Körper aber jeweils als handelndes Subjekt erkennbar bleibt.

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In den  gurativen 3D-Farbdruck-Miniaturskulpturen visualisiert Aurora Reinhard die Machtbalance zwischen weiblicher Domina und männlichem Devotem, zwischen Künstler und Kurator und zwischen

dem Betrachter und dem Objekt der Begierde. Trotz der auf den ersten Blick ungleich anmutenden Kräfteverhältnisse unter den Protagonisten sind sie jeweils aufeinander angewiesen.

Aurora Reinhard befragt unsere kulturelle Disposition, indem sie deren kollektiven Bilder auf radikale Weise zuspitzt, ohne eine besänftigende Alternative anzubieten.

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Iiu Susiraja

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Iiu Susiraja setzt sich mit ihren Fotografien und Videos in banalen häusliche Situationen in Szene. In diesen Szenarien der Hypernormalität konfron-

tiert die Künstlerin den Betrachter mit den eigenen normativen Vorstellungen zu Weiblichkeit, Körper und sozialen Merkmalen.

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Ihre Fotografien und Videos entstehen als Ein-zelaufnahmen in ihrem Elternhaus in Turku. In dieser Alltagsumgebung entwir sie Foto für Foto Gegenbilder zu den Selbstportraits, wie sie, durch den permanenten Druck zur Darstellung des eigenen Lebens, in den sozialen Netzwerken kursieren. Dem Leben im Netz, das in dem Versuch sich reich, glücklich, schön und begehrt aussehen zu lassen, zum Designobjekt wird, setzt sie das Gewöhnliche, Unspektakuläre und Peinliche entgegen – Scheitern, Einsam- und Freudlosigkeit inbegriffen.

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Die kapitalistische Ideologie des permanenten Erfolges ist in Bezug auf den normativen Körper-kult, dessen Idealen neunzig Prozent der

Bevölkerung nicht entsprechen, zum Scheitern verurteilt. Iiu Susiraja führt dies in ihren extremen und humorvollen Inszenierungen vor

Augen. Sie definiert sich selbst, ihre enorme Körperfülle ebenso wie ihre private Umgebung als Objekt der künstlerischen Betrachtung. Durch diesen anarchistischen Akt gewinnt sie die Macht über das „Normale“ zurück.

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NESTORI SYRJÄLÄ

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Nestori Syrjälä verbindet in seiner künstlerischen Praxis wissenschaftliche Erkenntnisse und expe-rimentelle künstlerische Ansätze. Seine Themen

kreisen um das Anthropozän und die damit verbun-

denen ökologischen Krisen. Durch die Entwicklung eines zeitgemäßen Skulpturbegriffs möchte Syrjälä eine umweltfreundliche, nicht-anthropozentrische, posthumanistische Sicht auf die Rolle des Menschen

skizzieren.

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In der Videoarbeit Raimo S spricht ein pensionier-

ter Staatsmann, eine Verkörperung von Wirtschaft- lichem Wachstum und Fortschritt, über sein Leben und die aktuellen ökologischen Herausforderungen.

Er versucht zu verstehen, wie die Welt jenseits von Finanzverwaltung und Wirtschaftspolitik fun-ktioniert, und die für ihn neue Sichtweise mit seinen persönlichen Erfahrungen in Einklang zu bringen. Deutlich wird, dass dies ein hilfloser Versuch ist den Sinn der gegenwärtigen politi-schen, wirtschaftlichen und ethischen Systeme zu überdenken. Die Figur basiert auf dem ehemaligenStaatssekretär für das finnische Finanzministerium Raimo Sailas. Er war maßgeblich an der wirtschaftsliberalen Entwicklung des Landes in den 1990er Jahren beteiligt, als Staatsaktien und Staatsfirmen verkauft und Staatsausgaben gesenkt wurden.

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Mit Grow Light präsentiert Nestori Syrjälä eine Skulptur, in der er einen Laptop als lebens-erhaltende Lichtquelle für einen Ackerbohnensämling nutzt: Eine Veranschaulichung der post-humanistischen These, dass die biologische Menschheit den Zenit ihrer Entwicklung erreicht hat und die zukünftige Entwicklung intelligenten Lebens in den Händen computergestützter Intelligenz liegt, die der menschlichen Spezies durchaus überlegen sein könnte.

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PILVI TAKALA

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Pilvi Takalas künstlerisches Interesse richtet sich auf die unausgesprochenen Regelwerke, Verhaltenscodizes und sozialen Strukturen

innerhalb spezifischer Gruppen und Gemeinschaften. Ihre Praxis basiert auf investigativen Perfor-mances, die sie anschließend filmisch verarbeitet und im Ausstellungskontext häufig als Videoinsta-llationen präsentiert. The Stroker geht von Pilvi Takalas zweiwöchiger Intervention bei Second Home, einem East Londoner Coworking Space für Jungunter-nehmer und Startups aus. Takala stellt sich als Gründerin des innovativen Unternehmens Personal Touch vor, das von Second Home beauftragt ist, im Rahmen des hauseigenen Wellness-Programms be-rührende Dienstleistungen am Arbeitsplatz zu erbringen.

Die Reaktionen der Berührten sind unterschiedlich. Die meisten sind den Verhaltens-regeln innerhalb der Gemeinschaft entsprechend, höflich, dennoch ist die Körpersprache häufig abweisend. Innerhalb der weltoffenen Gemeinschaft der Kreativen von Second Home erlebt der Be-trachter eine physische Aushandlung von Grenzen, die zuvor nicht sichtbar, nicht auszusprechen oder gar tabuisiert waren.

In The Trainee übernimmt Pilvi Takala die Rolle einer Praktikantin bei dem Wirtschaftsprüfungs-unternehmen Deloitte. Während ihres Praktikums tut sie jedoch nichts. Die Diskussionen über die seltsame Mitarbeiterin unter den Angestellten von Deloitte beschleunigt Pilvi Takkala indem sie einen Tag im gläsernen Aufzug der Firma verbringt und auf Nachfrage angibt, dass die Bewegung ihr beim Nachdenken helfe.

 

Wie in den beiden bereits beschriebenen Arbeiten, wird auch im Video Players auf das latente Regelwerk einer Gruppe gedeutet, das für die Öffentlichkeit ohne die Eingriffe der Künstlerin kaum sichtbar würden.

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